
Hintergrund: EU-Richtlinie und Umsetzungsbedarf
Die Entgelttransparenzrichtlinie (EU) 2023/970 trat am 6. Juni 2023 in Kraft und verpflichtet alle EU-Staaten, innerhalb von drei Jahren – also bis spätestens 7. Juni 2026 – wirksame Maßnahmen für gleiche Bezahlung von Frauen und Männern umzusetzen. Die Richtlinie zielt darauf ab, den Grundsatz „Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit“ besser durchzusetzen und die persistente geschlechtsspezifische Lohnlücke (Gender Pay Gap) zu verringern. Deutschland verfügt zwar seit 2017 über das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), doch Evaluationsberichte zeigten, dass dessen Wirkungen begrenzt blieben (nur wenige Beschäftigte nutzten Auskunftsansprüche, kaum Unternehmen führten freiwillige Prüfungen durch). Die EU-Richtlinie geht inhaltlich deutlich über die bestehenden Regelungen des EntgTranspG hinaus, sodass eine umfassende Novellierung des deutschen Rechts erforderlich ist. Entsprechend hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart, das EntgTranspG „weiterzuentwickeln“ und die EU-Vorgaben ambitioniert umzusetzen.
Aktueller Stand: Entwurf Entgelttransparenzgesetz und zentrale geplante Inhalte
Derzeit liegt noch kein offizieller Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie im Bundestag vor (Stand: Februar 2025). Allerdings hat das federführende Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nach eigenen Angaben bereits einen Referentenentwurf ausgearbeitet. Dieser interne Entwurf soll die Richtlinie vollumfänglich ins nationale Recht übertragen. Die Regierung betont, sie arbeite „unter Hochdruck“ an dem Gesetz und plane, das Vorhaben „noch in dieser Legislaturperiode“ abzuschließen, also vor der Bundestagswahl 2025. Beobachter rechneten mit einem ersten Entwurf Anfang. Sollte die Verabschiedung in dieser Wahlperiode nicht gelingen, müsste die nächste Bundesregierung das Gesetz rechtzeitig bis 2026 auf den Weg bringen.
Wichtigste erwartete Neuregelungen: Auch ohne veröffentlichten Gesetzentwurf lassen sich die Kerninhalte aus der Richtlinie und Regierungsaussagen ableiten:
Auskunftsanspruch für alle Beschäftigten: Künftig sollen alle Arbeitnehmerinnen – unabhängig von der Betriebsgröße* – einen gesetzlichen Anspruch auf Auskunft über ihr Entgelt im Vergleich zu Kolleg*innen des anderen Geschlechts haben. Bisher war ein solcher Anspruch im EntgTranspG nur in Unternehmen mit über 200 Beschäftigten vorgesehen. Das neue Recht würde diese Schwelle streichen und so den persönlichen Geltungsbereich deutlich erweitern. Arbeitgeber müssten transparente Kriterien der Entgeltfindung offenlegen und dürfen Beschäftigten Gehaltsauskünfte untereinander nicht verbieten. Vorgesehen ist, dass Auskunftsersuchen zügig (innerhalb von etwa 2 Monaten) beantwortet werden und Unternehmen ihre Belegschaft regelmäßig über das Auskunftsrecht informieren.
Transparenz bei Stellenausschreibungen: Bewerberinnen und Bewerber sollen ein Recht erhalten, bereits im Bewerbungsverfahren Informationen über das vorgesehene Einstiegsgehalt bzw. Gehaltsspanne der Position zu erfahren. Zudem wird Arbeitgebern verboten, Bewerber nach ihrer früheren Gehaltshistorie zu fragen. Diese Maßnahmen stärken die Verhandlungsposition von Bewerbenden und verhindern, dass bestehende Gehaltsunterschiede aus vorherigen Jobs fortgeschrieben werden.
Regelmäßige Berichterstattung ab 100 Beschäftigten: Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeiter*innen werden verpflichtet, regelmäßig Berichte zur geschlechtsspezifischen Lohnlücke in der Organisation zu erstellen und zu veröffentlichen. Die Richtlinie sieht gestaffelte Fristen vor: ab 250 Beschäftigten jährlich, für 150–249 Beschäftigte alle 3 Jahre ab 2027 und für 100–149 Beschäftigte alle 3 Jahre ab 2031. Dieser Schwellenwert liegt deutlich niedriger als im bisherigen deutschen Recht (dort galten Berichts- bzw. Prüfpflichten erst ab 500 Beschäftigten und eher freiwillig). Durch die Berichte sollen Gender Pay Gaps unternehmensweit sichtbar werden.
Entgeltanalyse und Abhilfepflicht: Zeigen die Berichtsdaten einen unerklärten Gender Pay Gap von über 5% in einer vergleichbaren Arbeitnehmergruppe, muss das Unternehmen eine gemeinsame Entgeltüberprüfung („joint pay assessment“) durchführen. Dabei sind die Ursachen der Lohnlücke zu analysieren und Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichheit zu ergreifen. Diese Überprüfung soll in Zusammenarbeit mit den Betriebs- oder Personalräten erfolgen. Eine solche verbindliche Audit-Pflicht wäre neu – bislang schreibt das EntgTranspG nur vor, dass große nicht-tarifgebundene Unternehmen freiwillig Prüfverfahren durchführen sollen. Künftig würde bei auffälligen Lohnunterschieden ein konkreter Handlungszwang zur Herstellung von Entgeltgleichheit bestehen.
Geschlechtsneutrale Entgeltstrukturen: Arbeitgeber werden angehalten, ihre Entlohnungs- und Bewertungssysteme diskriminierungsfrei und transparent zu gestalten. Entgeltstrukturen müssen auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien basieren, anhand derer gleichwertige Arbeit vergleichbar bewertet wird. Merkmale wie Anforderungen, Verantwortung, Belastungen oder Arbeitsbedingungen sollen als Kriterien herangezogen werden, damit „gleiche oder gleichwertige Arbeit“ auch gleich vergütet wird. Dieses Prinzip ist zwar schon Leitgedanke des geltenden Rechts, wird nun aber durch die o.g. Instrumente (Transparenz und Prüfpflicht) wesentlich stärker eingefordert und kontrolliert.
Verbesserte Rechtsdurchsetzung: Die Richtlinie verlangt, dass Beschäftigte ihr Recht auf gleiches Entgelt leichter gerichtlich durchsetzen können. Geplant ist insbesondere eine Verschiebung der Beweislast zugunsten der Arbeitnehmer: Künftig genügt es, dass Betroffene Tatsachen glaubhaft machen, die eine Entgeltdiskriminierung vermuten lassen – dann muss der Arbeitgeber vor Gericht nachweisen, dass keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts vorliegt. (Das Bundesarbeitsgericht hat 2023 bereits ähnlich entschieden, dass z.B. allein „Verhandlungsgeschick“ kein Rechtfertigungsgrund für Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau sein kann.) Zudem sollen qualifizierte Verbände oder Gewerkschaften Beschäftigte bei Klagen unterstützen können oder sogar im Namen von Betroffenen klagen (Verbandsklage/Prozessstandschaft). Dadurch müssen diskriminierte Frauen ihr Recht nicht mehr „allein“ durchfechten. Insgesamt wird die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots also erleichtert.
Sanktionen und Schadensersatz: Erstmals sollen bei Verstößen gegen die Entgeltgleichheits- und Transparenzpflichten wirksame Sanktionen drohen. Die Richtlinie fordert national abschreckende Sanktionen, wozu ausdrücklich Bußgelder gehören. Das deutsche Umsetzungsgesetz wird daher wohl Ordnungswidrigkeiten für Unternehmen vorsehen, die ihren Berichtspflichten nicht nachkommen oder Auskünfte verweigern. Ergänzend dazu sind – wie schon nach AGG möglich – Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche der benachteiligten Beschäftigten vorgesehen, die gegebenenfalls ausgeweitet werden müssen. Wichtig ist: Durch diese Sanktionsandrohungen erhält das neue Entgelttransparenzrecht erstmals „Zähne“, während das bisherige Gesetz als „stumpfes Schwert“ galt, weil es keine direkten Sanktionen enthielt.
Geplante Änderungen am bestehenden Recht: Insgesamt zeichnen sich deutliche Verschärfungen gegenüber dem Entgelttransparenzgesetz von 2017 ab. Die Reichweite des Gesetzes wird vergrößert (Auskunftsanspruch nun für alle Beschäftigten statt nur in Großbetrieben; Berichtspflichten schon ab 100 Mitarbeitenden statt 500). Mehrere Ausnahmen zugunsten kleiner Betriebe entfallen, da EU-Recht hier keinen Spielraum lässt. Gleichzeitig werden neue Instrumente zur Rechtsdurchsetzung eingeführt (etwa Verbandsklagen und behördliche Bußgelder), um die Einhaltung der Entgeltgleichheit effektiv zu erzwingen. Arbeitgeber werden damit deutlich stärker in die Pflicht genommen, für transparente und gerechte Bezahlung zu sorgen. Die meisten dieser Neuerungen sind zwingende Vorgaben der EU-Richtlinie, die eins zu eins umzusetzen sind. National können zwar punktuell strengere Regelungen beschlossen werden, doch ist eher davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber primär die EU-Mindestvorgaben erfüllt und die bestehenden Regelungen entsprechend anpasst. In jedem Fall bedeutet die Umsetzung einen erheblichen Eingriff in das bisherige EntgTranspG, das in seiner aktuellen Form die Anforderungen der Richtlinie „deutlich nicht erfüllt“.
Politische Diskussionen, Fahrplan und Kontroversen
Politisch besteht grundsätzlich breite Einigkeit über das Ziel der Entgeltgleichheit, jedoch gibt es unterschiedliche Akzente bei der Ausgestaltung und beim Tempo der Umsetzung. Das BMFSFJ (geführt von Bundesministerin Lisa Paus) betont, die Richtlinie sei „ein starkes Signal“ für Frauen in Europa. Paus hat angekündigt, die EU-Vorgaben in ein „ambitioniertes Entgelttransparenzgesetz“ zu gießen, damit Frauen leichter ungleiche Bezahlung erkennen und ihr Recht durchsetzen können. Federführend treibt das Familien-/Frauenministerium den Gesetzentwurf voran, in Abstimmung mit dem Arbeitsministerium (BMAS) und dem Justizministerium. Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine „ehrgeizige Ausgestaltung“ der EU-Regeln zu unterstützen und zugleich das nationale Recht auf Basis der Evaluation zu verbessern. Insbesondere die Grünen und SPD drängen darauf, die Lohnlücke von derzeit 18 % in Deutschland endlich spürbar zu senken.
Trotz dieser Absichtserklärungen gab es im Jahr nach Richtlinienverabschiedung zunächst Verzögerungen. Der DGB und Oppositionspolitiker kritisierten im Sommer 2024, dass ein Jahr nach der gesetzlichen Evaluation noch kein Reformgesetz vorlag. Die Regierung entgegnete, man wolle zwar die EU-Frist von drei Jahren nicht unnötig ausreizen, müsse aber sorgfältig innerhalb der Koalition abstimmen. Auf Fragen, ob noch vor der Bundestagswahl 2025 konkrete Ergebnisse präsentiert würden, verwies das BMFSFJ lediglich darauf, man arbeite „mit Hochdruck“ an der Vorlage. Tatsächlich wurde ein Referentenentwurf intern vorbereitet, doch bis Anfang 2025 nicht öffentlich vorgestellt. Beobachter führen die Verzögerung teils auf die angespannte Haushaltslage 2024 und volle Gesetzgebungsagenda der Ampel zurück, teils auf abstimmungsbedürftige Punkte innerhalb der Koalition.
Als kontrovers gilt vor allem der Umfang, in dem Deutschland über die Mindestvorgaben hinausgehen sollte, und die Belastungen für Unternehmen. Wirtschaftsverbände wie die BDA mahnen, die Umsetzung solle „praxisgerecht“ erfolgen und keine übermäßige Bürokratie für Arbeitgeber erzeugen. Insbesondere mittelständische Unternehmen sehen die neuen Berichtspflichten und Dokumentationsaufwände kritisch. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) betonte, dass die EU-Richtlinie zunächst nicht unmittelbar gilt und Unternehmen bis zum Inkrafttreten des deutschen Gesetzes abwarten können – ein Hinweis darauf, dass die Arbeitgeberseite keinen Vorauseifer wünscht. Auch die FDP als wirtschaftsliberaler Koalitionspartner legt Wert darauf, Bürokratiekosten zu begrenzen. In einem Beschluss der FDP-Fraktionen von März 2024 wird die Entgelttransparenzrichtlinie explizit als Beispiel genannt, wo EU-Vorgaben „über das deutsche Entgelttransparenzgesetz hinausgehen“ und Kleinbetriebe belasten. Die FDP fordert, solche Pflichten möglichst schlank und digital umsetzbar zu gestalten (etwa durch One-Stop-Datenmeldungen). Es ist daher denkbar, dass im Gesetzgebungsverfahren Detailfragen – z.B. Frequenz der Berichte, Schwellenwerte oder Ausnahmen – im Lichte der Bürokratieentlastung diskutiert werden. Allerdings lässt die Richtlinie den Mitgliedstaaten kaum Spielraum für Abschwächungen. Eher dürfte die Debatte darum gehen, wie die Unternehmen bei der Umsetzung unterstützt werden können (z.B. durch Standard-Tools zur Entgeltanalyse – ein solches Tool wird bereits von der Antidiskriminierungsstelle überarbeitet).
Gewerkschaften, Frauenverbände und Opposition von links drängen derweil auf eine zügige und konsequente Umsetzung. Der DGB fordert, die Hürden für Betroffene weiter zu senken und die Rechte etwa durch Verbandsklagen und starke Sanktionen zu untermauern. Auch der Deutsche Juristinnenbund (djb) und Gleichstellungsorganisationen haben in Stellungnahmen betont, dass ohne verbindliche Vorgaben und Kontrollen der Gender Pay Gap nicht geschlossen wird. Die Fraktion Die Linke hatte schon 2022 per Kleiner Anfrage nach dem Zeitplan gefragt und mahnte, die Regierung solle nicht bis zur Deadline 2026 warten. Sie sowie Bündnis 90/Die Grünen begrüßen insbesondere die Einführung von Verbandsklagerechten und wollen über die EU-Vorgaben hinausgehend die „Rechte der Beschäftigten stärken“.
Die konservative CDU/CSU-Opposition signalisiert grundsätzlich Unterstützung für das Gleichheitsziel, wird aber vermutlich im Gesetzgebungsverfahren darauf achten, dass keine „überzogenen“ nationalen Sonderlasten entstehen. Da die Richtlinie EU-weit gilt, dürfte auch die Union letztlich den Kernpunkten zustimmen müssen. Potenziell kontrovers könnte die Ausgestaltung von Kontroll- und Aufsichtsstrukturen werden: Etwa die Frage, welche Behörde die Berichte sammelt und Unternehmen sanktioniert (mögliche Kandidaten sind z.B. die Antidiskriminierungsstelle oder Arbeitsschutzbehörden). Zudem wird zu klären sein, wie der Datenschutz beim Gehaltsauskunftsanspruch gewahrt wird – Unternehmen müssen Durchschnittsgehälter nach Geschlecht mitteilen, ohne individuelle Gehälter preiszugeben. Solche Details werden aktuell in Fachkreisen diskutiert, haben aber politisch (noch) keine großen Streitigkeiten ausgelöst.
Geplanter weiterer Verlauf: Nach aktuellem Stand ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung ihren Entwurf 2025 beschließt und ins Parlament einbringt. Sollte dies – bedingt durch die Bundestagswahl im Herbst 2025 – zeitlich eng werden, könnte auch ein fraktionsübergreifendes Vorgehen nötig sein, um die EU-Frist zu halten. Bundesministerin Paus zeigte sich jedenfalls entschlossen, das Projekt voranzubringen, und verwies darauf, dass Deutschland die neuen Transparenzregeln „zügig in nationales Recht umsetzen“ werde.
Die Umsetzungsfrist bis Juni 2026 setzt hier einen klaren Endpunkt. Bis dahin müssen Unternehmen sich auf neue Pflichten einstellen. Schon jetzt empfehlen Arbeitsrechtsexperten den Arbeitgebern, sich vorzubereiten – etwa indem sie interne Entgeltanalysen durchführen und Gehaltsstrukturen überprüfen, um später compliant zu sein. Insgesamt wird der Gesetzentwurf zur Entgelttransparenz eines der bedeutenden Vorhaben im Bereich Gleichstellung und Arbeitsrecht in den kommenden Monaten sein.
Eine kontroverse Debatte zwischen Regierungsparteien, Opposition sowie Verbänden ist absehbar, doch das grundsätzliche Mandat durch EU-Recht dürfte sicherstellen, dass am Ende ein deutlich verschärftes Entgelttransparenzgesetz verabschiedet wird, das dazu beiträgt, den Gender-Pay-Gap in Deutschland merklich zu reduzieren.
Comments